Über den Vergleich mit anderen

Ob es normal wäre, fragt einer auf in einem Modellbahn-Forum, dass man seine Anlage, obwohl noch nicht mal annähernd fertig, schon wieder zur Gänze umbauen möchte.

Instagram-Effekt

Das kommt ganz darauf an, würde ich meinen. Und, es gibt auch bei der Modellbahn einen “Instagram-Effekt”. So wie viele junge Menschen dazu neigen, sich Essstörungen, Unzufriedenheit mit ihrem Körper und darausfolgend Schönheits-Operationen schon in jungen Jahren anzutun, weil sie den permanenten Vergleich mit Schönheiten von Instagram und Facebook vor Augen haben, die sich mit geschönten Fotos an geschönten Orten und permanent in Urlaubsstimmung mit ihren geschönten Körpern präsentieren, so leiden auch wir Modellbahner an einem ähnlichen Effekt.

Das Internet macht es möglich, dass wir jeden Tag tausende von perfekten Fotos von perfekten Anlagen mit perfekt gealterten Modellen und Gebäuden in 1:87 nachgebaut (oder gar in 1:45) mit Grashalmen aus den kleinsten Ritzen perfekt wachsend ansehen können. Und dann geht man zur eigenen Anlage in den Keller oder den beengten Dachboden mit der Nut- und Federholz-Wand aus den 1980ern, die noch Papa dort der damaligen Mode folgend hingenagelt hat und sieht die eigenen erbärmlichen Werke und wird unglücklich.

Das nenne ich den Instagram-Effekt bei der Modellbahn. Die Begehrlichkeiten und Wünsche an die eigene Anlage wachsen und mit ihr die Unzufriedenheit über die eigenen Unzulänglichkeiten.

Man sagt allerdings auch nicht umsonst:

Das Erste Haus baue für deinen Feind. Das zweite Haus baue für einen Freund. Das dritte Haus erst baue für dich selbst.

Es spricht ja prinzipiell überhaupt nichts dagegen, seine Werke mit jenen anderer zu vergleichen. Das scheint ja auch das natürlichste der Welt zu sein. Erst der Vergleich stachelt uns zu neuen Höchstleistungen an, bringt Innovation und neue Fähigkeiten. Das Vergleichen und besser machen steckt in uns Menschen einfach drin. Das abzulehnen kommt dem gleich, sich selbst und das Wesen des Menschen abzulehnen.

Problematisch wird es aber, wenn dieses Vergleichen krankhafte Entwicklungen auslöst. Nämlich eine Ablehnung dessen, wie man selbst ist und was man selber kann, anstatt den Drang seine Fähigkeiten in realistischem Umfang zu verbessern.

Checke deine Ressourcen

Ich habe selber vor 30 Jahren meine ersten Gehversuche mit Modellbahnen gewagt. Damals war es noch Usus, Gras mit grün gefärbten Sägespänen darzustellen. Die ersten Grasfasern kamen auf, aber die mit einer PET-Flasche mit Loch im Decke auf Farbe aufgesprüht waren genauso “hübsch” wie die gefärbten Sägespäne... Und dann sah ich bei Kollegen im Verein, in dem ich damals war, wie hübsch Gras ist, das mit einem professionellen Elektrostaten aufgebracht wird. Unleistbar so ein Teil für mich als Schüler... ich war unglücklich.

Mit meinem damals besten Freund disktuierten wir an seiner Märklinanlage, wie genial doch Digitaltechnik sein könnte... unleistbar für uns als Schüler... ich war unglücklich. Baute zwar noch selbst eine Impulsbreitensteuerung nach Anleitung aus einem gelben Buch (Titel hab ich vergessen) und verbesserte diese sogar noch nach meinen eigenen Ansprüchen... und war etwas glücklicher. Aber im Endeffekt führte dieses Vergleichen und feststellen “kann ich mir nie leisten” zu einem vollkommenen Abbruch des doch so schönen Hobbys. Nach vielen Jahren Pause, in denen wirklich viel passierte, begann ich vor 2 Jahren wieder. Digitaltechnik ist nicht wirklich billiger geworden, die Elektrostaten auch nicht...

Aber ich hab in der Zwischenzeit Geduld erlernt. Ich musste von Null weg starten und pfuschte diesmal nix mal schnell so hin. Sondern sparte auf gutes Werkzeug (Betonung auf “gut”) und habe so einen sehr langsamen Fortschritt beim Modellbau... dafür bin ich aber deutlich zufriedener. Mit einer Weller-Lötpistole kann man zwar schon Elektronik auch löten... so wie man mit einer Kombizange auch 6-kant-Muttern auf/zuschrauben kann... aber mit einer ordentlichen Lötstation macht es deutlich mehr Freude.

Nur der Vergleich macht sicher

Ich hab mir auch im Internet diese vielen tollen Bilder und Videos angesehen, und es macht glücklich zu sehen, wozu Menschen imstande sind. Und ich hab mir nicht nur die Ergebnisse angesehen (Achtung Instagram-Effekt!) sondern auch entdeckt, dass es wahre Meister gibt, die auch noch gerne herzeigen, WIE sie ihre Meisterwerke bauen. Luke Towan (suche auf Youtube) sei hier genannt, und die Wolfgang von der Gleiswüste im Stummiforum. Ich sah, wie andere mit noch groberen Fingern wie ich die feinsten und filigransten Bahnsteigdächer uns Szenerien zusammenbringen... Das war so eine große Motivation, es selbst auch zu probieren. Bäume einmal selber zu drehen wie die Meister der Foren (Johnnytulln auch aus dem Stummiforum ist hier zu erwähnen) macht erst sicher: Wo bin ich, und wo kann ich noch hin.

Und dann nutze ich noch die Gelegenheiten die sich so ergeben (mit Corona derzeit sind sie leider sehr eingeschränkt), diese schönen Meisterwerke perfekt ins Bild gesetzt auch live anzusehen.

Das schöne dabei ist, dass man sieht, dass auch die Meister nicht vom Himmel fielen und oft die Bilder schöner als die Wirklichkeit sind. Jeder Schöpfer kennt seine Werke in- und auswendig und weiß wo er wie fotografieren muss, damit die imperfekten Stellen kaschiert sind und seine Lady von der besten Seite rüberkommt. Das eigene Gehirn tut dann noch sein übriges. Die riesengroße Anlage ist dann in Wirklichkeit doch nicht größer als man auf den Fotos sieht. Das Gras ist keine geschlossene total realistische Wildgrasfläche sondern eine Ansammlung aus Büscheln. Die Bäume stellen sich bei genauerer Beobachtung als etwas heraus, das man selber sogar noch besser hinkriegt, obwohl der Wald am Foto und Video “perfekt” wirken. Das Haus hat nur die eine Kante, die am Foto ist, einen perfekten Übergang zum Untergrund, alle anderen lassen erkennen, dass die dort bloß “hingestellt” ist...

Erfreue dich an den Meisterwerken, aber lenke den Fokus auch auf die weniger perfekten Anteile. Das lässt dich viel zufriedener werden, wenn du erkennst, auch der kocht nur mit Wasser und Klebstoff.

Das Nachfragen, das studieren der Bauanleitungen in Bild und Video kann deine Begeisterung die eigene Anlage noch besser zu machen anfachen. Wenn du siehst, der andere hat eine ordentliche Kreissäge, du nur eine billige Stichsäge... dann suche nach der Gelegenheit, eine ordentliche Kreissäge benutzen zu können. Sonst wirst du keine geraden Schnitte hinkriegen. Messingprofile am Tisch mit einem groben Lötkolben zu löten und zu erwarten, ein filigranes Meisterwerk an Brückengeländer zu bekommen, muss auch scheitern. Wolfgang von der Gleiswüste hat die Lötplatte, Löthaken und Gaslötkolben in Verwendung. Das kann man kaufen. Bei Fohrmann übrigens. Und es ist gar nicht teuer. Ich habs mir auf seine Anregung hin zugelegt und heute macht mir Löten echt Spaß. die Ergebnisse sprechen für sich. Klar muss ich das auch noch lernen. Meinen Lötzinnverbrauch kann ich noch reduzieren... Aber hey... verglichen mit dem, was ich selbst vor 25 Jahren zusammengepfuscht habe bin ich heute schon mein eigener Meister. Verglichen mit Wolfgang... bin ich nach wie vor ein Stümper. Also richte ich meinen Fokus auf mich früher, wenn ich zufrieden sein möchte. Und ich richte meinen Fokus auf die wahren Meister, wenn ich wissen möchte, wohin meine Reise gehen soll.

Irgenwann ist alles einmal fertig

Ich baue übrigens jetzt an meiner dritten Anlage. Und die wird diesmal auch fertig... sofern man bei Modulen überhaupt von “fertig” sprechen kann. Ja, ich hab auch diesemal Module gewählt, weil ich gerne auch mal im größeren Arrangement fahren möchte. Meine Züglein sollen auch mal die “große Welt” kennenlernen dürfen und nach Fahrplan durch 20 Bahnhöfe tuckern. Und ich möchte auf meinen kleinen Bahnhöfen auch mal Sonderzüge und Fahrzeuge rollen sehen, die ich nie selbst besitzen werde.

Und Module für sich genommen werden sehr wohl auch in absehbarer Zeit fertig. Wenngleich die Anlage selbst wachsen und sich verändern kann und wird. Das ist das Schöne am Modul-Modellbau.

Ausblick

Für mich habe ich gelernt, dass es wesentlich fürs Wohlbefinden ist, sich nur mit sich selbst in der Vergangenheit zu “messen”. Daran kann ich erkennen, ob ich mich weiterentwickle oder stehenbleibe. Ich hole mir von anderen heute “nur” mehr Ideen, Fertigkeiten, Anregungen, Werkzeuge damit ich wachsen und mich weiterentwickeln kann. Betrachte ich mein Werk, betrachte ich auch immer die Zeit in der es entstanden ist mit dazu. “Damals” (und sei es vor einem Jahr gewesen), konnte ich dieses und jenes, und das andere nicht. Ich hatte das Werkzeug noch nicht oder konnte/kannte diese Technik noch nicht. Und dann sag ich mir innerlich laut vor, “DAFÜR ist es dir wirklich gut gelungen” oder “damals war ich zufrieden es überhaupt so geschafft zu haben”.

Ich muss auch jedesmal eine Entscheidung neu treffen. Und zwar ziemlich schwierige:

Das Bessere ist der Feind des Guten!

Auch dieser Satz behält vollumfänglich seine Gültigkeit. Warum nicht Teile der Anlage abreißen und neu bauen, wenn es nicht mehr gefällt? Alles hat seine Zeit. So auch Modellbahnanlagen. Und wenn die Zeit um ist, darf es gehen und durch etwas anderes ersetzt werden.

Zum Glück haben wir heute die Möglichkeit günstigst Unmengen an Fotos zu machen, um alte Anlagen in Erinnerung zu behalten. Und wir haben die Freiheit, diese Fotos auch nie mehr anzusehen.

In dem Sinne wünsche ich viel Freude beim schönsten und vielfältigsten Hobby der Welt.

Diskussion

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